Kontiki-Konferenz in der ersten deutschen Großstadt mit check-in/check-out System

Der Landrat des Landkreises Heilbronn, Detlef Piepenburg, stellte in seiner Schilderung des ÖPV im Landkreis und in der Stadt Heilbronn insbesondere die Stadtbahn, die Kombination von Straßenbahn und Eisenbahn, als wichtige Alternative zum Individualverkehr dar. Mit der Stadtbahn und einem abgestimmten Busverkehr konnten in der Region Heilbronn die Fahrgastzahlen in den letzten Jahren deutlich gesteigert werden. Die Zielsetzung des neu eingeführten eTicket ist, neben den Stammkunden neue Fahrgastgruppen zu gewinnen.

Minister Winfried Hermann, Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Würtemberg, betonte zu Beginn seiner Ausführungen, dass er alle Formen nachhaltiger Mobilität im Umweltverbund vernetzen wolle. Dazu benötige man moderne Technik wie das eTicketing. Das eTicketing habe aber nur dann eine Chance, wenn es einfach zu nutzen sei. Sein Ziel sei ein landesweites Ticket, das nicht nur den ÖPNV beinhalte, sondern auch andere Mobilitätsdienstleistungen wie  z.B. Car Sharing oder Leihfahrräder. Damit das eTicket überall gelten könne, bedarf es einer Standardisierung wie der VDV-Kernapplikation. Das Land wollte die Umsetzung der VDV-Kernapplikation unterstützen, beispielsweise durch Schaffung einer regionalen Vermittlungsstelle bei der landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg. Die finanzielle Förderung des ÖPNV in Baden-Württemberg werde in Zukunft möglicherweise an die Einführung moderner Ticket- und Fahrgastinformationssysteme gebunden, um den innovativen Systemen zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Teilnehmer des Round Table, Minister Hermann, Landrat Piepenburg, Ingrid Kühnel, Sjef Janssen und Moderator Horst Stammler sprachen die offenen Fragen des eTicketing, insbesondere die Fördermittel an. Zu Beginn des eTicketing mussten bundesweit 40 Insellösungen im Standard Kernapplikation zusammengeführt werden. Deshalb ist die VDV-KA nach dem Baukastenprinzip konzipiert, damit Verkehrsunternehmen und Verbünde das auswählen können, was sie für ihre Lösung brauchen. Kritisch setzte sich Minister Hermann mit der Förderpolitik für eTicketing-Projekte von Bund und Ländern auseinander: „Wir vergraben viele Milliarden in Tunnel, haben aber keine wenigen Millionen für ein neues Ticketingsystem, da stimmt das Verhältnis nicht!“ Bundesweit ist die Verkehrsministerkonferenz die richtige Adresse, um Projekte voranzubringen. Er forderte die Teilnehmer auf, den Druck auf die Politik zu erhöhen und verband damit die Forderung nach verlässlichen Finanzierungslösungen für Großprojekte. Im Bereich der Finanzierung sind derzeit viele Themen nicht gelöst, genannt wurden das Entflechtungsgesetz, die Zukunft des Gemeindefinanzierungsgesetzes (GVFG), Regionalisierung, Instandhaltung und Barrierefreiheit.

Gerhard Gross, Heilbronner Hohenloher Haller Nahverkehr GmbH, präsentierte die strategischen Ziele des neuen (((eTicket HNV: Gesellschafter des Kommunalverbundes sind die Stadt Heilbronn und 5 Landkreise. Der Busverkehr ist die tragende Säule des Fahrplanangebotes, dazu kommen 6 Schienenstrecken und die Stadtbahn. Die Fahrgastzahlen konnten verdoppelt werden. Im Schülerverkehr ist die Nachfrage rückläufig. Ein wichtiges Ziel sei daher die Gewinnung neuer Kundengruppen mit eTicketing. Bei der Struktur des Verbundes war die Frage der Einheitlichkeit des eTicketing zu lösen. Realisiert wurde ein CICO -Verfahren auf VDV-KA Basis inklusive Rollenmodell mit drei Vertriebspartnern. Die Entwicklungszeit betrug 5 Jahre. Investitionen von € 6 Mio. waren notwendig. Die Interoperabilität zu zwei anderen Verbünden ist verwirklicht. Die Kundenakzeptanz ist hoch, die Resonanz gut.

Ingrid Kühnel berichtete über 10 Jahre (((eTicket in Schwäbisch Hall: Die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch eTicketing ist eindeutig nachgewiesen. Der Rückgang von 9 % bei den Schülerzahlen konnte durch Anstieg der Gelegenheitsfahrer aufgefangen werden. Wesentlich war, dass Schwäbisch Hall keine Insellösung implementiert hat und der Abbau von Zugangshemmnissen gelungen ist. Die fahrscheinscharfe Abrechnung wird von Kunden begrüßt. Die Entwicklung einer intensiven Kundenbeziehung führte nicht nur zu einer sehr hohen Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlung, die KolibriCard ist heute ein wichtiger „persönlicher Besitz“. Eine aktuelle Herausforderung ist es, das System und die Systeme aller Vertriebspartner im HNV auf gleichem Stand zu halten. Ergebnisse in aktuellen Zahlen: monatlich über 50.000 Fahrten, 10 Millionen Transaktionen seit Einführung, Abrechnung von 13 Tarifen plus DB Tarif, erhebliche Einsparung beim Bargeldhandling und beim Zeitaufwand von Fahrer und Verwaltung. Dafür erhielt der Kreisverkehr Schwäbisch Hall den Innovationspreis Baden-Württemberg, wurde zweiter Bundespreisträger beim RFID-Mittelstandsaward, erhielt den Best Practice Preis auf der Hannover-Messe. Die wichtigsten Vorhaben sind die Ausweitung der CityCard und die Echtzeitinformation.

Hans-Andreas Hoffmann, Kreisverkehr Schwäbisch Hall, stellte fest, dass bei der Umsetzung der Interoperabilität die Menschen in den Mittelpunkt gerückt sind. Nicht nur die Technik sei wichtig, sondern vor allem die Menschen, die agieren. Die Verlagerung von allen tariflichen Angelegenheiten in das Hintergrundsystem ist der richtige Weg. Das Projekt war unter dem Ziel gestartet, „Interoperables eTicket in und zwischen den Verbundgebieten Heilbronner Verkehrsverbund (HNV mit NVH) und Kreisverkehr Schwäbisch Hall (KVSH) auf der Basis der VDV-Kernapplikation unter Berücksichtigung unterschiedlicher Tarifstrukturen mit unterschiedlichen Zahlformen unter Verwendung eines kernapplikationskonformen Nutzermediums“ zu realisieren. Bei der Darstellung des Projekts und seiner Randbedingungen war die große Zahl von 78 Projektbeteiligten besonders hervorzuheben. Das gemeinsame Ziel allein ist nicht ausreichend, alle Projektbeteiligten müssen sich auf geradem Weg zum Projektziel bewegen, trotz unterschiedlicher Einzelinteressen. Ein komplexes Kommunikationsnetzwerk aller Beteiligten ist unumgänglich. Die Lessons learned lassen sich zusammenfassen: In Interoperabiltäts-Projekten sind die unterschiedlichen Wissensstände der Beteiligten ständig zu beachten. Die Projektkomplexität vergrößert sich während des Projektes.  Individuelle Projektinteressen sind dem Gesamt-Projekt unterzuordnen. An das Kooperationspotential werden hohe Ansprüche gestellt. Der Fokus bei Projektlaufzeiten sollte auf Verkürzung liegen. In der Projektarbeit sind moderne Projektsteuerungsmethoden erforderlich, kein klassischer Projektleiter.

Norbert Kuhnle, NVBW, stellte die regionale Vermittlungsstelle mit einem Hintergrundsystem für ganz Baden-Württemberg vor, Ausgangssituation und Entscheidungsweg zu einem einheitlichen Hintergrundsystem. 22 Verkehrsverbünde für 10 Mio. Einwohner bewältigen viel Verkehr über die Verbundgrenzen hinweg. Die weitgehende Einheitlichkeit als Grundvoraussetzung für ungehinderten Verkehr wird durch Aufbau eines einheitlichen Hintergrundsystems angestrebt. Die landesweite Einführung weitgehend einheitlicher Systeme und Tarife ist mit der Verbundintegrationsplattform Baden-Württemberg angestrebt. Das System ist bereits installiert und ist erweiterungsfähig.

Thomas Hornig, highQ Computerlösungen, erläuterte die technischen Einzelheiten und Funktionalitäten des Interoperabilitätsnetzwerkes, der Verbundintegrationsplattform Baden-Württemberg. Die VDV-KA Komponenten KOSE (Interoperables Sperrmanagement, (KontrollService )und ION (interoperables Hintergrundnetz) werden genutzt. Bei der zentralen Vermittlungsstelle stand nicht die Nachrichtenvermittlung sondern zusätzliche Funktionalität im Fokus. Die entwickelte Lösung ist auch in weiteren nationalen und internationalen Projekten vorgesehen.

Die eKontrolle in der Praxis beleuchtete Ingrid Kühnel. CICO (Check In / Check out) hat Auswirkungen für Kunden und für Fahrer und Prüfer. Die Herausforderung für den Kunden: er muss zunächst ein neues System erlernen. Die Prüfer erwiesen sich als Helfer vor Ort. Der Fahrgast muss zum check-in bei jedem Einstieg in das Fahrzeug seine KolibriCard an die markierte Stelle des Terminals halten, zum check-out beim Ausstieg das Gleiche. Damit führt der Kunde eine Eigenkontrolle durch. Die Auswirkungen eKontrolle CICO für Fahrer sind ebenfalls Lerneffekte: Der Fahrer muss wissen, warum es eine Umstellung gibt. Er muss sein „Prüfverhalten“ umstellen – nicht mehr selbst lesen, sondern prüfen lassen. Er braucht klare Anweisungen, was zu tun ist, wenn eine Karte nicht funktioniert. Der Prüfer braucht Hardware, die entsprechende Software, um die Prüfung durchführen zu können. Das Gerät muss handlich und einfach zu bedienen sein und es muss die Prüfergebnisse schnell liefern.

Im zweiten Teil des Vortrages stellte Hans-Andreas Hoffmann die eKontrolle aus der Sicht des Mitarbeiters in der Verbundgeschäftsstelle dar. Da der Sperrprozess in der KA-Welt ein komplexer IT-Vorgang mit mehreren beteiligten Projektpartnern ist, erfordert er Transparenz für den Endanwender im Kundencenter. Deshalb sind die komplexen Vorgänge für die Mitarbeiter so aufzubereiten, dass die KA-Prozesse schnell und leicht nachvollziehbar sind. Hoffmann stellte den Sperrprozess und seine Funktionen in allen Einzelschritten dar. Die wichtigsten Ergebnisse: Gesperrte Kunden können mit ihrer Karte keinen Missbrauch treiben, das Ticket wird automatisch in allen Verkehrsräumen gesperrt.

Dr. Susanne Grün vom Verband des öffentlichen Verkehrs der Schweiz referierte über die geplante Einführung des Elektronischen Ticketing in der Schweiz aus dem Blickwinkel des Direktverkehrs und erwähnte, dass in ca. 20 Tarif-Verbünden individuelle Lösungen existieren. „Direktverkehr“ bedeutet für den Kunden, dass er Schweiz-weit mit einem einzigen Fahrausweis das Netz von rund 250 angeschlossenen Transportunternehmen nutzen kann. Zunächst sollten die beliebten Tickets „General-Abonnement“ und „Halbtax“ auf eine Chipkarte umgestellt werden. Im Weiteren zeigte sie, welche zentralen Herausforderungen im Ticketing und in der Kontrolle im öV Schweiz erfolgreich zu meistern sind: Reduktion der Komplexität [Sortiment, Tarif, Kulanz], Wachstum Online-/Mobile-Tickets und Sicherung der Einnahmen, Einführung neuer Ticketmedien (RFID, SMS) und die Ticketmedien-Vielfalt, die Ablösung der Kontrollgeräte, durchgehende elektronische Kontrolle und die gemeinsame Standardisierung sicherstellen. Darüber hinaus ist langfristig eine Anpassung der Vertriebskanäle erforderlich. Ein herausforderndes Programm bis 2018 enthält die vier wesentlichen Elemente: öV-Kontrolle, öV-Karte, öV-Plattform, Vertriebskanäle/Backend.

Walter Noé stellte die Ergebnisse der VDV-Arbeitsgruppe eTarif vor. Zum Verständnis waren einige Begriffsdefinitionen erforderlich: Tarif, Fahrt, Fahrtkette, Streckenabschnitt. Im Einzelnen erläuterte er die Parameter der Tarifgestaltung und Anwendung. Wesentlich sind die Ziele des eTarif: Ergiebigkeit, Leistungsgerechtigkeit und Praktikabilität, die jeweils detailliert erläutert wurden. Mit Chancen der Tarifgestaltung unter verschiedensten Blickwinkeln wurde eine Auswahl von Tarifgestaltungselementen vorgestellt. Fünf Kategorien wurden analysiert: räumliche, zeitliche, nutzerbezogene, fahrzeugbezogene und verkaufsbezogene Tarifmerkmale.

Reinhard Schulte, Stadtwerke Münster, berichtete über erste Erfahrungen mit der PlusCard Münster. Mit einigen Fakten und Zahlen charakterisierte er den ÖPNV in der Fahrradhauptstadt Münster, wobei er besonders auf die saisonalen Bedarfsschwankungen hinwies. Die PlusCard als Plattform für multimodale Mobilität und Rundum-Kundenbindung ist auf dem bestem Weg. Ziel ist: Marktanteil 15%, Steigerung von 38 Mio. auf 45 Mio. Fahrgäste mit weiter hoher Kundenzufriedenheit. Münster hat das erste (((eTicket für Gelegenheitsnutzer mit dynamischen elektronischen Tarifen eingeführt. Die ersten Erfahrungen zeigen, neue Fragestellungen beim (((eTicket erfordern lösungsorientiertes Handeln, stetige Kreativität und gute Nerven. Neue Abläufe für Kunden und Mitarbeiter sind zu erlernen, weiterhin schwierig ist die Einbindung der Regionalunternehmen. Münster hat ein ehrgeiziges Umsetzungsprogramm bis 2014 und will Innovationen wie Kombi-Tarif für Energie oder Carsharing step by step umsetzen.

Von Sjef Janssen, VDV-Kernapplikations GmbH & Co. KG, wurden die eTicket Deutschland NEWS präsentiert. Neben mehr als 180 Verträgen mit Verkehrsunternehmen und Verbünden ist das Projekt Luxemburg dazu gekommen. Die Unterstützung durch das Versionsmanagement der technischen Schnittstellen im ION wurde weiter verbessert. Durch die derzeitige Nano-Entwicklung eröffnen sich neue Perspektiven bei den Transaktionszeiten, der Performance-Gewinn ist beträchtlich. Ein Technikertag und ein eTicket-Seminar sind im September/Oktober 2013 geplant.

Michael Hegenbarth, Bundesdruckerei GmbH, sprach über die neuen Entwicklungen der internationalen Standardisierung. Er zeigte die relevanten veröffentlichten Standards zu 14443 und wies auf die  diversen laufenden Projekte hin. Zusätzlich beschrieb er eine Reihe von Projekten zu „Mobile devices using“. Ausführlich behandelte er die Thematik „Is a mobile phone a „card“ or a „reader“?“ Wichtig war auch die ausführliche Beschreibung des Dilemmas „ISO 14443 not equal to NFC“. Eine Lösung ist noch nicht erarbeitet.

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